von Herrn Schwanke, Juni 2018 (BB201806-01)
Dies ist ein bemerkenswertes Buch. Es geht um die „Inverted Jenny“, den kopfstehenden kleinen Doppeldecker auf der ersten amerikanischen Flugpostausgabe, der 24c.-Marke aus dem Jahre 1918.
Über die Marke ist viel geschrieben worden, auch einige Bücher. Doch dieses neue Buch, erschienen zum „100.Geburtstag“ ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Da ist zunächst die Entstehungsgeschichte dieser wohl berühmtesten amerikanischen Briefmarke, die im Mai 1918 aus Anlass des ersten Luftpostdienstes zwischen Washington, Philadelphia und New York erschien. In bisher unbekannten Fotos lernen wir den glücklichen Finder, William Robey, kennen, der den Bogen mit der kopfstehenden Jenny am Postschalter erwirbt (und es sollte der einzige Bogen bleiben), der ihn dann an den Briefmarkenhändler Eugene Klein in Philadelphia verkauft und der wiederum ihn nur ein paar Tage später an Colonel Edward H.R.Green veräußert.
Green trennt sich einige markante Blockstücke aus dem Bogen heraus und übergibt den Rest wieder an Eugene Klein zum Verkauf. Die Käuferliste der so vereinzelten Stücke liest sich wie das „Who is who?“ der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Eisenbahn- und Ölmagnaten, Wall Street-Größen und Kongreßabgeordnete werden vorgestellt; weit zurück zu den großen Familien des 19.Jahrhunderts und den Nachfolgern der Bürgerkriegsveteranen gehen die Recherchen der Autorinnen Kellen Diamanti und Deborah Fischer, die zudem eine Fülle bisher unbekannten Fotomaterials präsentieren können.
Eingebettet werden die Kapitel über die vielen stolzen Besitzer in die historischen Zeitläufte. Die Entwicklung des Flugverkehrs und die damit zusammenhängende Entwicklung der Luftpostphilatelie – dargestellt in Schilderungen der großen philatelistischen Ausstellungen – ist ebenso Thema wie die grossen Katastrophen des 20.Jahrhunderts (z.B. der Depression von 1928 und den langen Schatten des 2.Weltkrieges), die ihre dramatischen Spuren hinterließen und ihre Auswirkungen auf Käufe und Verkäufe von Inverted Jennys hatten.
Ein weiterer Aspekt, den die Autorinnen ausgiebig untersuchen, ist die Preisentwicklung. Die Inverted Jenny war zu keinem Zeitpunkt „billig“. Als Eugene Klein in Greens Auftrag im Jahre 1918 begann, die restlichen Stücke zu detaillieren, verlangte er 250 Dollar für ein vierseitig gezähntes Exemplar. Nach heutigem Gelde dürfte dies einem Kaufkraftwert von ca. 4000 Dollar entsprochen haben. Das war vor 100 Jahren für den viel zitierten „Normalsammler“ ein kaum erschwinglicher Preis.
Im 21.Jahrhundert auf Auktionen angeboten, erzielt eine Inverted Jenny Zuschläge ab 300.000 Dollar aufwärts, je nach Qualität (der Zentrierung); rekordbrechend der Zuschlag von 1.175.000 Dollar für eines der am besten zentrierten Exemplare auf der Raritäten-Auktion von Robert Siegel in New York 2016. um die „Inverted Jenny“, den kopfstehenden kleinen Doppeldecker auf der ersten amerikanischen Flugpostausgabe, der 24c.-Marke aus dem Jahre 1918.
Man darf fragen, warum dieser Fehldruck solche Preise erzielt, zumal doch immerhin 98 der ursprünglich vorhandenen 100 Stücke als existent nachweisbar sind. (Der jüngst erreichte Preis von 270.000 CHF für einen „kopfstehenden Schwan“ Westaustraliens, von dem es nur 14 Stücke gibt, die Hälfte davon in Museen, mutet im Vergleich lächerlich an!). Die Frage ist aber rhetorisch, genauso wie auch die Frage „Was wird die Zukunft für die kopfstehende Jenny bringen, bei der rapide schwindenden Zahl von Sammlern?“
Diamanti und Fisher geben auch gleich die Antwort: Heutige Käufer wollen nicht „nach alter Väter Sitte“ eine Lücke im Album schließen; ein spektakuläres Stück muss es sein, dem ein Zauber innewohnen sollte – „a thing with noise“, wie es der amerikanische Schuh-Designer Stuart Weitzman ausdrückte (der Käufer der 1c. Magenta von British Guiana).
Die Jenny Invert ist eben die meist ikonische Marke (und nicht nur auf die USA bezogen!) des 20.Jahrhunderts – The Stamp of the Century.