A Million Dollars an Ounce
Buchbesprechung von Herrn Schwanke, August 2018 (BB201808-01)
Was wäre, wenn das NS-Regime auch Briefmarken mit der gleichen „Gründlichkeit“ geraubt hätte, wie es dies mit Kunstgegenständen, Gemälden, Gold, Juwelen und anderen Wertgegenständen im 2.Weltkrieg tat? In „A Million Dollar An Ounce“ von M.John Lubetkin ist genau dies der Ausgangspunkt einer Geschichte, in der sich Wahrheit und Fiktion zu einem rasanten Plot vermengen.
Als in den ersten Maitagen des Jahres 1945 das 3.Reich untergeht, flieht Hermann Seis, ein hoher Nazi-Funktionär und einer der Hauptakteure des Nazi-Programms zur Requirierung von Briefmarken, mit einem speziellen Gürtel um den Bauch, der den größten Teil der wertvollsten Stücke enthält. Er hofft, über die Elbe zu entkommen. Aber in der Nähe von Ludwigslust ist die Flucht zu Ende – er wird gefangen genommen von US Army Capt. Harry Strong von der 82.Luftlande-Division. Strong, der – halbjüdisch – mit seinem Vater und seiner Schwester in den 1930er Jahren nach Amerika geflohen ist, spricht fließend Deutsch und er, der als junger Mensch Briefmarken gesammelt hat, „riecht den Braten“ und enttarnt mit seinem Team den flüchtenden, als Zivilist getarnten Hermann Seis. Seis wird bei der Festnahme erschossen. Harry Strong nimmt die Marken an sich. Die weitere Geschichte spielt sich überwiegend im New York der frühen Nachkriegszeit ab.
Strong, nunmehr im zivilen Leben zurück und auf der Karriereleiter einer Baufirma aufsteigend, verkauft die Briefmarken, mit der Hilfe eines bekannten Gangsterbosses, der Verbindungen hat (oder knüpft) zu Briefmarken-Experten, zu Auktionshäusern und – last but not least – zu israelischen Organisaionen wie dem Mossad (an den später Erlöse aus Harry`s Briefmarkenverkäufen gehen). Zum Showdown kommt es, als der Bruder Franz des 1945 ums Leben gekommenen Hermann Seis, „seine“ Briefmarken zurückerlangen will. Franz Seis, wie sein Bruder ehemals in hoher SS-Funktion, arbeitet nach Verbüßung eines Teils seiner Haftstrafe eigentlich für die „Guten“, nämlich für die Gruppe Gehlen, dem späteren Bundesnachrichtendienst. Seis macht sich auf den Weg nach New York, er will neben seinen Briefmarken auch persönlich Rache nehmen für den Tod seines Bruders. Mehr sei hier nicht verraten.
Ja, der „Plot“ ist insgesamt stimmig, so könnte es gewesen sein. Lubetkin erzählt seine Geschichte in kurzen, szenisch wechselnden Abschnitten, die der Dynamik des sich entwickelnden und auf das unausweichliche Ende hinsteuernden Geschehens entsprechen. Dabei gibt es aber für mich einige Schwächen. Insbesondere die meisten Charaktere bleiben „leblos“ oder „hölzern“; mit seinem Helden, Harry Strong, kann ich mich bis zum Ende nicht identifizieren. Die „Bösen“ kann man von Herzen hassen. Harry`s Gegenspieler, der ex-SS-Offizier Franz Seis, erfüllt alle Klischees eines solchen Charakters aus bekannter NS-Literatur. Die anderen Bösen (die New Yorker Gangsterwelt) kommen da fast zu gut weg. Meyer Lansky, Lucky Luciano und Bugsy Siegel sind historische Gestalten, die nicht gerade mit Heiligenscheinen herumliefen. Klischeehaft sind auch die Sexszenen und die Beziehungs- und Liebesgeschichten, die Stereotype verarbeiten, wenn der Autor die nach dem 1.Weltkrieg herrschende Männerknappheit in England und Frankreich mit der Promiskuität deutscher Frauen nach 1945 als Vergleich bemüht.